65 Jahre Ortsverein Marburg: Kleine Feierstunde im Rahmen der jährlichen Mitgliederversammlung

Ende August hatten wir vom Lebenshilfe Ortsverein Marburg unsere Mitglieder zur jährlichen Mitgliederversammlung eingeladen. Neben den üblichen Themen stand diesmal auch ein besonderer Punkt auf der Agenda: Unser Verein besteht nun seit 65 Jahren und setzt sich nach wie vor tatkräftig für Menschen mit Behinderung ein. Dies haben wir im Rahmen der Versammlung entsprechend gewürdigt und gefeiert.
Neben den Regularien, die in der Mitgliederversammlung abgehandelt wurden, waren die Berichte des Ortsvereins sowie Lebenshilfewerk Vorstandes mit allem gespickt, das im letzten Vereinsjahr passiert ist und noch passieren soll. Ein Meilenstein war sicherlich die Einbindung von Selbstvertreter*innen im Rahmen der Vorstandsneuwahlen. Ebenso der Zukunftsworkshop, in dem zusammen mit unseren Mitgliedern und weiteren Interessierten erarbeitet wurde, wie es mit dem Ortsverein Lebenshilfe weitergeht. Eine Homepage wurde eingerichtet und Diskussionsrunden zu politischen Themen organisiert – unter anderem eine Informationsveranstaltung mit Marburgs Oberbürgermeister rund um das hochsensible Thema „MoVe35“. Diese haben wir genutzt, um die Lokalpolitik für die Mobilitätsbedarfe von Menschen mit Behinderung zu sensibilisieren.
Auch über wichtige Projekte haben wir in der Versammlung informiert. So zum Beispiel über den Kauf einer Immobilie für ambulant unterstütztes Wohnen durch den Ortsverein. Ein ganz wunderbares Vorhaben, um die Wohnsituation von mehreren Menschen mit Behinderung positiv zu beeinflussen. Finanziell unterstützt haben wir unter anderem auch die Lahnwerkstätten für deren Projekt Bewegung und Begegnung sowie die Einrichtung Familie|Bildung|Kultur, die es organisiert hat, dass zahlreiche Menschen mit Einschränkungen an den Deutschen Meisterschaften der Lebenshilfe in Berlin teilnehmen konnten.
Und dann haben wir den Blick ganz auf den 65. Geburtstag des Ortsvereins gerichtet. Ein kurzer Rückblick in die Vereinsgeschichte: Nachdem am 23. November 1958 Eltern von Kindern mit Behinderung auf Initiative von Tom Mutters in Marburg die Bundesvereinigung der Lebenshilfe gegründet haben, wurde am 9. Juni 1959 die örtliche Lebenshilfe in Marburg gegründet – ebenfalls von betroffenen Eltern. Einer der ersten Ortsvereine in Deutschland nach der Gründung der Bundesvereinigung. Die Initiative ging von Frau Dorothea Schmidt-Thimme aus. Der Gründergeneration war es wichtig, zunächst Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung und im Anschluss Wohnplätze zu schaffen.
Foto zeigt von links Julius Klausmann, Doris Mülln, Monika Geis und Martin Kretschmer
Die Gründer*innen können uns leider nicht mehr berichten wie es damals war. Doch wir haben andere Zeitzeugen eingeladen und diese als Teil der Feierstunde zu den Anfängen der Lebenshilfe befragt. Unter anderem Monika Geis, Doris Mülln und Julius Klausmann. Frau Geis war in den 70er Jahren im Vorstand des Ortsvereines Marburg und hat die Urkunde zur Grundsteinlegung der Lahnwerkstätten Marburg mitunterschrieben. Sie ist dann später von Marburg nach Solms umgezogen und hat sich dort in der Lebenshilfe Wetzlar-Weilburg engagiert. Auch im Bundeselternbeirat der Bundesvereinigung Lebenshilfe war sie aktiv. Frau Mülln wiederum hat sich über Jahrzehnte für die Belange von Menschen mit Behinderung eingesetzt. Als Mutter einer behinderten Tochter hat sie im Vorstand des Ortsvereins Marburg mitgearbeitet und nach der Gründung des Lebenshilfewerkes auch in deren Verwaltungsrat. Weiterhin war sie als Vertreterin der Lebenshilfe über viele Jahre im Vorstand des Kinderzentrums Weißer Stein. Beide sind damals als junge Mütter von behinderten Kindern auf der Suche nach Unterstützung und Beratung auf die Lebenshilfe gestoßen.
Julius Klausmann ist durch den Zivildienst zur Lebenshilfe gekommen. Später hat er sich im Vorstand des Ortsvereins engagiert und berät noch heute im Privatbereich Angehörige. Er hat einige Rechtsfragen in langen Auseinandersetzungen klären können. Behinderung war für ihn noch nie ein Fremdwort, ist er doch mit einem behinderten Bruder aufgewachsen und hat eine Adoptivtochter, die in den Lahnwerkstätten tätig ist.
Frau Mülln und Frau Geis erzählten von vielen Anlaufstellen bis sie dann zur Lebenshilfe gekommen sind und sie endlich entsprechende Ansprechpartner gefunden hatten. Die wichtigste Anlaufstelle war für sie der Kindergarten des Kinderzentrums Weißer Stein. Frau Mülln berichtet, das schon sehr früh dezentrale Standorte geschaffen wurden. In den Anfängen hat man sich oft in kirchlichen Räumen getroffen, um sich auszutauschen. Frau Geis merkte an, dass es ohne Tom Mutters die Lebenshilfe in Deutschland wohl nicht gäbe. Für die Zukunft wünschen sie sich, dass gerade auch für ältere Eltern Möglichkeiten zum Austausch geschaffen werden. Sie können sich auch eine Beratungsstelle angegliedert an den Verein gut vorstellen. Ihre Sorge ist, dass Bürokratie noch mehr ausgebaut wird und sich weniger um die Menschen mit Behinderung gekümmert wird. Die Gespräche hätten noch endlos weitergeführt werden können. Doch das Team der Lahnwerkstätten hatte ein gemütliches Ambiente geschaffen und für Gegrilltes und kalte Getränke gesorgt. Meinen herzlichen Dank an alle, die zu diesem sehr schönen Nachmittag beigetragen haben.
Sie haben es wahrscheinlich bereits erfasst: Wir vom Ortsverein Marburg sind voller Tatendrang, um die Rechte von Menschen mit Behinderung durchzusetzen. Wer sich mit uns engagieren möchte ist sehr willkommen!